Linda Kellie – wer ist das eigentlich?

Immer wieder liest oder hört man irgendwo von Linda Kellie. Alteingesessene OpenSim-Nutzer dürften die Person bzw. den Avatar Linda Kellie am ehesten kennen als Zicke, die in alle Richtungen ausgeteilt hat. Jüngere kennen sie nur vom Hörensagen als Schöpferin hoffnungslos veralteter Sachen, die es bei weitem nicht aufnehmen können mit gecopybotteten „Freebies“ aus Second Life, die da vielfach auf regelrecht industriellem Niveau angefertigt werden; Sachen, mit denen man sich nur lächerlich macht. Wieder andere schätzen bis heute ihre praktischen, flexibel verwendbaren und vor allem legalen Kreationen. In Copybotter-Kreisen ist sie die Galionsfigur der häufig kaum bekannten Schöpfer legaler Freebies im Hypergrid, die man am liebsten alle ausmerzen will.

Aber was hat es eigentlich auf sich mit ihr?

Im Oktober 2017 hat Linda ihre Geschichte auf einem Blog mit nur einem Post umrissen. Für weitere Details braucht es schon Detektivarbeit und eine Kenntnis dessen, was sie über die Jahre angefertigt hat. Hilfreich dabei sind auch die OARs, die von vielen ihrer Sims noch existieren und in so manch einer aktiven Sim im Hypergrid weiterleben. Viele ihrer Kreationen, darunter auch ihre OARs, bekommt man auf Zadaroo, das sich auf den Erhalt ihres Content spezialisiert hat.

Die Anfänge

Linda begann im November 2005 in Second Life unter dem Namen Karra Baker. Sie war also schon vor dem großen Hype dabei, als Second Life so ganz allmählich anfing zu wachsen. Auch in jener Zeit war sie schon kreativ tätig, und selbstlos, wie sie war, bot sie ihre Kreationen als Freebies an.

Mitte der 2000er war das Qualitätsniveau in Second Life noch nicht so hoch wie heute, wo Content nicht nur professionell, sondern fast schon industriell produziert wird und Qualitätsstandards für Einzelkämpfer mit legalen Mitteln kaum zu halten sind. Vieles war auch noch gar nicht möglich, Mesh beispielsweise. Entsprechend kochten mehr noch als heute alle Schöpfer nur mit Wasser.

Gleichzeitig war Linda, wenngleich wenig erfahren, durchaus talentiert. Sie war eine ernsthafte Konkurrenz für kommerzielle Anbieter, die die unliebsame Mitstreiterin mit dem unschlagbaren Preis-Leistungs-Verhältnis kurzerhand aus Second Life rausmobbten. Das war 2007.

Zum Glück war gerade OpenSim gestartet. Mit Second Life hat es ja gemeinsam, daß gerade zu Anfang alles an In-World-Content von Nutzern gemacht wurde. Während Linden Lab aber professionelle Grafikdesigner dafür bezahlte, mit die ersten Residents zu sein und die Welt mit entsprechend hochwertigem Content auszustaffieren, landete in OpenSim die frühe Community buchstäblich in einer leeren Welt – dem OSgrid, dem ersten öffentlichen und heute ältesten und größten Grid. Kein Profi gestaltete ihnen die Landschaft um sie herum.

Kommerzielle Anbieter hielten sich von OpenSim nicht nur deshalb fern, weil es noch kein Zahlungssystem mit Umtausch von/nach Echtgeld wie den Linden-Dollar gab, sondern auch aus Angst vor Content-Diebstahl. Aus demselben Grunde traute sich damals kaum jemand, Freebies zu produzieren und anzubieten, denn auch im Freebie-Bereich gab es im Prinzip nur eine strikte Copyright-All-Rights-Reserved-Kultur nach bester amerikanischer Façon. Bis heute hat ja die FLOSS-Community OpenSim noch nicht entdeckt – und die OpenSim-Community auch kaum bis gar nicht die FLOSS-Kultur, aber das ist eine andere Geschichte.

Dazu kam, daß unter den frühen OpenSim-Nutzern viele Sim- oder Gridbetreiber mit Zugriff auf Adminrechte waren, die alle Berechtigungen von Content aushebeln konnten; in Second Life können das bis heute nur Lindens. Beschränkungen wie No Copy und No Transfer, wie sie damals üblich waren, waren halb wirkungslos. Niemand traute sich folglich, seine Kreationen anderen anzubieten, aus Angst, beklaut zu werden. Jeder mußte das, was er brauchte, buchstäblich selbst bauen bis hin zu allen Skripten und Texturen. Und auch das wurde kaum jemals mit anderen Leuten geteilt.

So landete Linda in dieser jungen, kargen Welt, in der jeder auf sich gestellt war, und tat das, was sie am liebsten tat: basteln. Aber sie tat das nicht nur für sich, sondern full-perm für alle. Und sie stellte ihre Sachen von vornherein unter eine möglichst freie, liberale Lizenz. Sie dürfte überhaupt zu den ersten gehört haben, die ihren Content in OpenSim ausdrücklich unter eine Lizenz stellten, geschweige denn unter Creative Commons. Linda wählte sogar Creative Commons CC0, was im Grunde der Public Domain entspricht. Man konnte sie gar nicht beklauen, denn jeder konnte ihre Werke nehmen und damit machen, was er oder sie wollte.

Genau das bezweckte Linda auch: Die Leute sollten mit den Sachen, die sie machte, ihrerseits etwas Kreatives anstellen. So mußte man auch dann, wenn man etwas Spezielles bauen wollte, nicht immer erst ganz bei null anfangen.

In OpenSim nutzte sie übrigens erstmals ihren Klarnamen. Das heißt, tatsächlich sind das ihre beiden Vornamen.

Linda Kellie Designs

2008 hatte sie solche Mengen an Material von Layerkleidung über Konservendosen, Möbeln und Bäumen bis hin zu ganzen Gebäuden gebaut, daß es reichte für eine ganze Sim: Linda Kellie Designs, kurz auch LK Designs.

Wer schon eine Weile in OpenSim ist, dürfte schon mal über eine Instanz von LK Designs gelaufen sein. Das ist die Sim mit dem rechteckigen Straßenverlauf, der innen und außen von pastellbunten Häusern gesäumt ist. Im Südwesten gibt’s einen Parkplatz und eine Rezzfläche, dazwischen landet man. Auf der Ostseite steht ein großes blaues Haus mit Möbeln, im Norden gibt’s eine Gartenabteilung und so weiter. Hat man vielleicht schon mal gesehen.

Auf den ersten Blick ist LK Designs eine hoffnungslos veraltete Freebie-Sim. Aber nicht nur finden sich da trotzdem noch sehr brauchbare Sachen – ob das jetzt im Food Store ist oder die Schilder, die man an einer Bar aufhängen kann –, sondern es ist eigentlich eine Mehrzwecksim. Man kann da viel mehr machen, als nur Freebies abzuräumen. Man kann sich an einem warmen Sommertag auf einem Strandtuch oder einer Luftmatratze sonnen, man kann vom Sprungbrett ins Wasser springen, man kann auf einem Floß liegen und sich entspannen, man kann angeln – ja, man kann sogar kirchlich heiraten mit anschließender Party.

Linda hat die anderen OpenSim-Nutzer ja auch immer dazu ermutigt, ihre Sachen weiter zu modifizieren, also nicht nur einzelne Objekte, sondern ebenso ihre Sims als Ganzes. Auch LK Designs bietet sich zur weiteren Modifikation an, ohne den Stil der Sim komplett umzuwerfen. Leerstehende Geschäfte könnten befüllt werden. Einige Ladengebäude sehen nur von außen so aus, als wären sie zweigeschossig; da könnte man die fehlende Zwischendecke einziehen und eine Treppe einbauen und hätte fast die doppelte Ladenfläche. Wenn man noch mehr Fläche braucht, könnte man sogar aufstocken.

Man könnte das fast leerstehende Spa ausstatten mit passenden Möbeln, die Linda selbst später gebaut hat. Man könnte den Strand im Süden aufpimpen mit Tiki-Summer-Teilen von Linda selbst, Tiki-Fackeln von Nebadon Izumi oder Aaack Aardvark und Wellen von Selea Core. Man könnte die ollen Paartanz-Poseballs im Partypavillon ersetzen durch einen Clubmaster von Áine Caoimhe.

Aber auch so war LK Designs damals ein ziemlicher Quantensprung. Auf einer einzelnen Sim bekam man fast alles, was man brauchte, obendrein aus einer Hand. Womöglich war LK Designs sogar die erste Sim mit dem Konzept einer städtischen Ladenlandschaft, in der man Freebies bekam. Noch dazu waren die Freebies thematisch sortiert und auf die Läden verteilt und nicht nach Schöpfer bzw. Anbieter.

Der Terror von InWorldz und die Hochkreativitätsphase

Um 2010 landete sie in InWorldz, nicht nur dem damals wichtigsten geschlossenen Grid ohne Hypergrid-Anschluß, sondern dem damals größten Grid überhaupt, größer noch als das OSgrid. Dort suchten sich vier Mobberinnen sie als Opfer aus und terrorisierten sie grundlos auch außerhalb von OpenSim überall, wo sie sie vorfanden. Das prägte Linda für den Rest ihrer Zeit in virtuellen Welten. Aus diesen zog sie sich ebenso zurück wie aus Social Media.

Die Folgen dieser schlimmen Erfahrung trieben sie noch mehr in die Selbstlosigkeit. Binnen kürzester Zeit schuf sie auf einem kleinen geschlossenen Standalone-Grid gigantische Mengen an Material, das sie zunächst einmal nur auf ihrer eigenen Website zum Download anbot. Andere konnten es sich herunterladen, nach OpenSim importieren und da weiterbearbeiten. Aus OpenSim selbst hielt sie sich bis auf ihr eigenes kleines Grid fern und konnte daher auch keine öffentlich zugänglichen Sims mit dem Material bestücken.

Möglicherweise war es noch 2011, als Linda wieder in die Öffentlichkeit von OpenSim zurückkehrte. Was sie bis dahin erschaffen hatte – und noch erschaffen sollte –, ergoß sich in eine Unzahl an Sims. Heute dürfte sich höchstens noch grob umreißen lassen, in welcher Reihenfolge diese entstanden. Vorhandene Sims hat Linda kaum erweitert und eher ganz neue angefangen, zumal irgendwann ihre Freebie-Sims aus allen Nähten platzten.

Einerseits tat sie mit ihren Kreationen und Sims viel Gutes. Andererseits bekam sie aber mehr und mehr Probleme mit anderen Nutzern. So, wie sie damals in InWorldz bis aufs Blut drangsaliert wurde, begann sie, in ihren jeweiligen Heimatgrids gegen alle möglichen Leute auszuteilen, die es nicht immer verdient hatten. Ihre Versuche, Mobbern gegenüber Stärke zu zeigen, übertrieb sie maßlos und vergraulte sogar ihre Freunde.

Das führte irgendwann dazu, daß an ihr vielfach nur noch ihre Kreativität und Selbstlosigkeit geschätzt wurde – und gnadenlos ausgenutzt. Gridbetreiber ließen sich von ihr ganze Landesims bauen, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Dank bekam sie dafür aber nicht, denn eigentlich konnten die Gridbetreiber sie von vornherein nicht leiden. Die bekamen von ihr nur etwas ohne Gegenleistung, und sie spielte zunächst auch noch freiwillig mit, das war alles.

Irgendwann ging ihr diese Undankbarkeit und das Ausgenutztwerden doch gegen den Strich. So kam es, daß sie sich auch mit schöner Regelmäßigkeit mit Gridbetreibern anlegte, mit der übrigen jeweiligen Gridcommunity sowieso. Immer wieder mußte sie daher mitsamt ihren immer zahlreicher werdenden Sims aus einem Grid abhauen und auf ein neues Grid umziehen. Ein positiver Nebeneffekt dessen war, daß sie von all ihren Sims sowieso OARs anlegen mußte, die sie dann auch gleich zum Download anbieten konnte.

Themensims

Ein Großteil von Lindas Sims waren Sims zu bestimmten Themen mit verschiedensten Verwendungszwecken. Ebenso verschieden war auch der „Freebie-Sim-Grad“. Einige Sims wie Tropical, Lake House oder Country Cabin waren gedacht als fix und fertige persönliche Sims. Andere Sims wie Winter oder Tiki Summer hatten ein paar wenige bestückte Läden, Boardwalk Amusement Park hatte ein paar mehr, und die Western Town hatte Lindas Sortiment in Kisten im General Store verstaut.

City war dagegen quasi ein Nachfolger für LK Designs und bot so ziemlich Lindas gesamtes bisheriges Sortiment an Freebies an bis hin zu Rohmaterialien wie Sculpties und Texturen. Zumindest die Boxen und die Avatarausstattung war komplett verfügbar.

Urban City basiert auf der City und dürfte inspiriert worden sein vom Urban Blight Project, das Arcadia Asylum ab 2006 in Second Life aufgebaut hatte, das später mit Arcadias Zustimmung nach OpenSim geholt wurde. Möglicherweise erfuhr Linda, daß Leute Arcadias eigentlich leeren Ghetto-Waschsalon mit der Waschsalonausstattung von LK-Designs aufrüsteten, und es war der Mangel an interaktivem Mobiliar in Arcadias Obdachlosenheim, der Linda dazu brachte, passende Betten zu bauen – und dann ihr eigenes Obdachlosenheim drumherum. Trotz allem ist und bleibt die Urban City eine vollwertige Freebie-Sim.

Das Welcome Center wirkt wie ein Vorläufer des Avatar Center und gleichzeitig wie entweder eine Auftragsarbeit – oder Linda hat auf die Anfragen, Landesims zu bauen, reagiert mit einer fix und fertigen Landesim nebst umgebenden Freebie-Läden mit Avatarausstattung. Die Spezialisierung ergibt sogar Sinn: Wer hier erstmals landete, hatte nicht unbedingt schon vor, eine eigene Sim aufzubauen und auszustatten. Daher wäre es sinnlos gewesen, auch Möbel, Pflanzen und Gebäude anzubieten.

Freebie Malls

Noch eher ein Nachfolger für LK-Designs war die Fully Stocked Freebie Mall. Erstmals brachte Linda ihr bisheriges Sortiment in einem einzigen Gebäude unter, das dafür aber zweistöckig ausgeführt werden mußte. Im Erdgeschoß brachte sie die gegenüber LK-Designs erheblich angewachsene Auswahl an Avatarausstattung unter. Mobiliar, Texturen, Sculptmaps und ähnliches Baumaterial kam im Obergeschoß unter – darunter auch Möbel, die Linda bis dahin noch nie auf einer Sim eingebaut hatte.

Wie bei Linda üblich ging das Konzept der Freebie Mall über das heutige Verständnis von Freebie Malls hinaus. Im Erdgeschoß gibt es einen – wenngleich funktionslosen – Info-Pavillon, eine Unisex-Kundentoilette und einen Food Court.

Noch weiter zunehmender Content und die Unübersichtlichkeit der Freebie Mall führten letztlich zur Freebie Mall 2.0 von Mitte April 2012. Bis Clutterfly gestartet wurde, war das Lindas letzte Vollsortiment-Freebie-Sim. Das obere Stockwerk wurde entfernt, dafür gab es nun einen großen Anbau auf der Nordseite, der die Möbelabteilung aufnahm. Das übrige Erdgeschoß wurde gründlich umgekrempelt. Insgesamt wurde die Ladenfläche dadurch aber kleiner.

Erstmals mußte Linda hier daher vor ihren Contentmengen kapitulieren: Einiges gab es nur noch in Sammelboxen verpackt, anderes wie die einzelnen Augen und Frisuren überhaupt nicht mehr. Nach Norden gliederte Linda ein weiteres Gebäude mit Teleportalen zu den Landesims anderer Grids hinter Türen an. Einige der Ziele – darunter die alte Landesim meines Heimatgrid – funktionieren selbst heute noch.

Spezialisierte Freebie-Sims

Mitnichten war an dieser Stelle aber das Ende erreicht. Linda erschuf weiter immer mehr Content. Um den zu veröffentlichen, reichten die bisherigen Sims nicht mehr aus. Wie gesagt, schon die Freebie Mall 2.0 hatte keinen Platz mehr für Lindas komplettes Sortiment. Also mußten Freebie-Sims her, die sich auf bestimmte Themen spezialisierten.

Das Stocked Shopping Center – Linda machte auch eine leere Variante – wandte das Konzept der umgebenden Läden noch konsequenter an als das Welcome Center, zumal die Läden auch mehr Fläche bekamen. Nachdem diese aber mit Lindas wieder zahlreicher werdender Avatarausstattung bestückt worden waren, dürfte sie festgestellt haben, daß der Platz für ihre ebenfalls immer weiter anwachsende Simausstattung trotz allem nicht mehr reichte. Schließlich fand sich hier erstmals Lindas Kinderausstattung auf einer allgemeineren Sim, und ihre Furry-Ausstattung dürfte gänzlich neu gewesen sein. Jetzt mußte wirklich spezialisiert werden.

Das Avatar Center war wie schon das Shopping Center und vorher das Welcome Center darauf ausgelegt worden, auch als Landesim fungieren zu können, auf der sich taufrisch gerezzte Neuavatare gleich ausstatten können. Auffallend ist hier, daß die ganze Sim der Übersichtlichkeit halber in einen rosa Damen- und einen blauen Herrenteil aufgeteilt ist. Selbst hier brachte Linda noch ganz neuen Content, und zwar Gor-Kleidung.

Free Furniture lagerte im Prinzip die Möbelabteilung der Freebie Mall 2.0 auf eine eigene Sim aus. Dadurch entstand Platz für die inzwischen hinzugekommenen Möbel. Die Sim, die fast komplett mit einem zeltartigen Dach abgedeckt ist, ist gut ausgelastet, hat wie bei Linda üblich aber noch Platz für Erweiterungen.

Auch Free Furniture hatte für das Sortiment an Pflanzen, Pavillons und anderer Landschaftsgestaltung keinen Platz mehr. Dafür entstand das Garden Center.

Last but not least nahm Building Supply die „Baumaterialien“ auf: Texturen, Sculptmaps/fertige Sculpties, Skripte und Animationen. Building Supply sollte nebenher als Sandbox fungieren: Hinter den vier Gebäuden legte Linda nicht einfach nur eine Rezzfläche an, sondern eine, die groß genug war, um ganze Gebäude zu bauen. Noch dazu umgab sie die Fläche mit einer Reihe an Infotafeln, die das Bauen mit Prims erklären.

Mesh und mehr Drama

Spätestens 2013 verschwand Linda wieder von der Bildfläche. Der Strom immer neuer Sims riß ab, ihre bisherigen Sims verschwanden, und auch sie ließ sich nicht mehr blicken.

An dieser Stelle sei erwähnt, daß sich inzwischen Mesh allmählich in OpenSim ausbreitete. Und Linda hatte ja immer den Daumen am Puls der Zeit. Wenn Mesh jetzt ein Ding war, mußte sie Mesh machen. Und das tat sie auch. Teilweise verwendete sie fertige, unter freien Lizenzen veröffentlichte 3-D-Objekte aus dem Netz, aber sie lernte auch Blender und das sogar recht gut.

Allerdings wollte sie ihre neuen Erzeugnisse nicht wieder zusammen mit ihren alten Prä-Mesh-Sachen auf einer Sim feilbieten. Das meiste davon war ja noch von 2008 oder älter, und selbst im Prim-, Sculptie- und Texturenbau hatte sie inzwischen gewaltige Fortschritte gemacht. Außerdem – wie gesagt – rüstete sie eh im allgemeinen keine bestehenden Sims mit neuem Content nach. Es mußte also mindestens eine ganz neue Sim her, auf der es nur ganz neuen Content gab.

Genügend neuer Content, um damit eine ganze Sim zu bestücken, brauchte aber seine Zeit. Im nachhinein ist es im Grunde beachtlich, daß LK Designs schon im Jahre 1 nach Start von OpenSim eröffnet wurde. Jetzt, wo Linda mit Mesh arbeitete und auch das Qualitätsniveau ihrer Texturen nach oben geschraubt hatte, brauchte sie natürlich noch länger.

Im Grunde brauchte sie zu lange. 2015 brach dann nämlich das Drama über sie herein. Hintergrund waren Anweisungen seitens Content-Schöpfern aus Second Life zusammen mit Linden Lab an Grids, gestohlene Kreationen dieser Schöpfer zu löschen. Daraus resultierten dann Aufforderungen der Gridbetreiber an Freebie-Store-Betreiber, illegale Inhalte aus ihren Läden zu entfernen, andernfalls würde ihr Laden geschlossen – oder die ganze Sim oder gleich behördlicherweise das ganze Grid, egal, wie groß es war.

Die Ladenbetreiber kamen diesen Aufforderungen durchaus nach. Es ging ja um die Existenz des ganzen Grid. Allerdings rechneten sie damit, daß das erst der Anfang sein und es noch mehr juristischen Druck aus Richtung Second Life geben könnte angesichts der riesigen Mengen gestohlenen Materials. Um ganz auf Nummer sicher zu gehen, warfen sie alles aus ihren Läden, wovon sie selbst nicht mit absoluter Sicherheit sagen konnten, daß es legal war. Danach standen sie vor mehr oder weniger leeren Läden.

Die füllten sie dann überwiegend oder gar komplett mit Linda-Kellie-Produkten auf. Von allen Kreativen in OpenSim Linda war mit Abstand am bekanntesten für legale Freebies, die jeder in seinem Laden anbieten durfte. Allerdings, wie gesagt, war viel davon noch von 2008. Besucher mußten mit ansehen, wie brandneue heiße Mesh-Klamotten aus Second Life ersetzt wurden durch hoffnungslos veraltete Layer-Sachen aus der Anfangszeit von OpenSim.

Viele wußten nichts von den rechtlichen Hintergründen und Androhungen seitens SL-Schöpfern und Linden Lab, ganze Grids durch die Justiz schließen zu lassen, wenn gewisse illegale Inhalte nicht entfernt werden. Sie dachten, Linda Kellie wollte ihre Marktmacht wieder ausbauen. Von ihr war ja seit mehr als zwei Jahren nichts Neues mehr gekommen, und in einer virtuellen Welt, in der inzwischen viele immer dem neuesten, heißesten Scheiß hinterherrannten, war sie einfach nicht mehr relevant. Es schien, als forderte sie die Freebie-Store-Betreiber dazu auf, geklaute Second-Life-Ware durch ihren Uralt-Content zu ersetzen, damit sie relevant bleibt. Überhaupt – wieso gab es ihre hoffnungslos veralteten Sachen aus LK-Designs-Zeiten noch? Und wieso sonst hängten sich Leute das in die Läden?

Und so wurde sie das Ziel falscher Anschuldigungen. In dieser Zeit entstand erst der große Haß auf Linda Kellie. Mit angeschürt wurde er von der Copybotting-Mafia, die massiv Propaganda gegen alle legalen Inhalte im Hypergrid machte und dabei Linda Kellie exemplarisch für alle legalen Freebie-Schöpfer nannte. Sie war ja sowieso schon zu einem akzeptablen Ziel geworden, außerdem kannten viele außer ihr keine anderen OpenSim-Schöpfer.

Hätte sie ihre erste Mesh-Sim vor den Ladenumgestaltungen gestartet, wäre möglicherweise alles anders gekommen. Denn dann hätten die Ladenbetreiber sich eindecken können mit funkelnagelneuem, absolut legalem Mesh. Aber sie war noch an der Arbeit, als das Drama losbrach.

Als sie dann im Herbst 2015 fertig war, hatte sie zwei Sims, die fast nur noch Mesh enthielten. Angesichts des laufenden Dramas konnte sie aber nicht unter ihrer alten Identität zurückkehren. Es wäre wohl sofort zum Boykott ihrer nagelneuen Sims aufgerufen worden, ohne daß sich jemand den Content auch nur angesehen hätte. So legte sie sich nicht nur einen neuen Avatar auf zwei neuen Grids – Great Canadian Grid und DigiWorldz – zu, sondern auch einen neuen Namen: Shelby Moonlight. Wer ihr in Social Media folgte, wußte aber sofort, daß sie das war.

Interessanterweise war sie auf einmal teilkommerziell geworden. Auf ihrer eigentlichen Shop-Sim in DigiWorldz, Moonlight Shops, bot sie fertig texturierte und ggf. geskriptete Sachen nur noch gegen Geld an. Die Rohmeshes nebst Shadowmaps bekam man aber kostenlos zum Selbsttexturieren. Dazu kam eine neue „Spiel-Sim“, The Lodge, ebenfalls in DigiWorldz, die nicht grundlos ein Adult-Rating bekam: Hier hatte sie sogar selbstgebaute BDSM-Sachen aufgestellt. Ein Shop war The Lodge nicht. Auch sind beide Sims nicht als OARs erhalten geblieben.

Zusätzlich startete sie im Herbst mit einer „Freundin“ namens Jessica Random ein Projekt einer 6×6-Varsim in DigiWorldz. Binnen kürzester Zeit stoppte sie das Projekt aber wieder. Das lag nicht etwa am Drama, sondern daran, daß sie für so ein Monsterprojekt ganz einfach keine Zeit hatte und es nicht halb angefangen liegenlassen wollte.

Das große Finale: Clutterfly

Wie so oft waren aber auch die beiden Sims auf DigiWorldz nicht von Dauer. Wie und wohin sie umzog, läßt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Fakt ist aber, daß sie noch eine letzte Sim baute: Clutterfly. Hier kam gegenüber den Moonlight Shops, deren Sortiment hier wieder und neuerdings kostenlos angeboten wurde, eventuell noch mehr Content dazu und mit ziemlicher Sicherheit auch etwas aus der Lodge, aber nicht alles. Auf jeden Fall war Clutterfly wieder eine reine Freebie-Sim. Und bis auf ein paar Boxen mit Layer-Kleidung, etwa Bikinis, war wieder alles Mesh.

Möglicherweise war die Instanz von Clutterfly in Lindas gleichnamigem eigenen Grid das erste Auftauchen. Anfang 2016 existierte Clutterfly dort schon. Aus DigiWorldz hatte sie sich und ihre beiden bisherigen Sims wieder zurückgezogen. Das Clutterfly-Grid hatte aber nicht lange Bestand, und Clutterfly tauchte wieder auf in Metropolis. Danach kehrte Linda zurück ins Great Canadian Grid, wo Clutterfly aber vorübergehend nicht vom Hypergrid aus erreichbar war.

Das machte jedoch nichts, denn zwischenzeitlich hatte Linda auch Clutterfly als OAR veröffentlicht, und eine der ersten Instanzen, die sie nicht selbst betrieb, war in Phaandoria, wo auch die leer stehenden Läden teilweise mit Content gefüllt wurden. Inzwischen läuft diese Sim nach einem Umzug in Dereos.

Das Ende, zumindest in OpenSim

Der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte, kam 2017, als das „offizielle“ Clutterfly noch im Great Canadian Grid lief. Leute meinten, die Lizenz, unter die Linda ihre Werke gestellt hatte – Creative Commons CC0 – erlaubte ihnen, alles damit zu machen. Einige erklärten Linda-Kellie-Kreationen kurzerhand zu ihrem eigenen geistigen Eigentum, stellten sie unter Copyright und drohten rechtliche Schritte gegen andere Anbieter derselben Objekte an. Ich weiß nicht, ob sie sich exklusiv an Lindas Sachen bereichern, Anbieter legaler Freebies im Namen der Copybotting-Mafia aus dem Weg räumen oder einfach nur Lindas Reputation noch weiter schädigen wollten.

An dieser Stelle hatte Linda endgültig die Schnauze voll. Sie nahm mit Clutterfly ihre letzte Sim offline und zog sich endgültig aus OpenSim zurück. Sie ging zurück nach Second Life, bot dort Content nur noch als proprietäre Payware unter Copyright an und wurde zu einer erbitterten Gegnerin von Freebies. Sie war sich sicher, in OpenSim würde sie niemand vermissen, auch nicht ihre Kreationen, die schon lange nicht mehr mithalten konnten mit den Luxuswaren, die in Massen aus Second Life gestohlen und im Hypergrid als „Freebies“ verteilt wurden.

Was bleibt

Auch wenn einige sich wünschen, daß es in OpenSim auf den Freebie-Sims nur möglichst neuen, topaktuellen Content auf dem Niveau der besten Sachen aus Second Life gibt – legal oder nicht –, bleibt Linda Kellie durch ihre Kreationen präsent. Viele ihrer Werke sind bis heute kaum wegzudenken aus den Welten des Hypergrid.

Aus den Vor-Mesh-Zeiten sieht man immer noch häufig z. B. ihre Registrierkasse, ihre diversen Bartheken, ihr Sprungbrett mit eingebauter Animation, ihren Tampon- und Kondomautomaten, überhaupt ihre Badezimmereinrichtung, ihre geskripteten Leuchten, ihre Verkaufswägelchen, ihr bestücktes Gebäckregal, ihren berühmten gekippten Stuhl mit Faß und so weiter. Ältere Sims bieten sogar immer noch ihre Avatarausstattung an, die teilweise in heutigen BoM-Zeiten sogar wieder einen Nutzwert bekommen hat.

Clutterfly-Klassiker sind beispielsweise die Sitzsäcke, die aufblasbaren Poolobjekte oder die Strandtücher, mitunter in von Danny Cruise auf PMAC-Animationssteuerung umgebauten Versionen, aber auch der mit Glühbirnen umrandete Pfeil, die verschiedenen Regale oder die Vasen. Aber auch die Clutterfly-Damenbekleidung sieht man ab und an selbst an jüngeren Avataren, die beispielsweise daran gescheitert sind, woanders lange Röcke zu finden.

Sogar Lindas Sims als Ganze tauchen immer wieder auf, meistens mehr oder weniger massiv umgebaut, manchmal tatsächlich original belassen. Das ist deshalb möglich, weil man sie als fix und fertige OARs herunterladen kann. Zadaroo ist eine Art Linda-Kellie-Nachlaßverwalter, der neben anderem Content von ihr auch ihre als OAR verfügbaren Sims aus der Zeit vor Mesh anbietet. Fred Beckhusens Outworldz hat eine beeindruckende Sammlung von OARs, auch solche von Linda und im Gegensatz zu Zadaroo auch ein voll bestücktes, intaktes Clutterfly – mit fast einem Gigabyte das größte OAR auf Outworldz übrigens.

Leider sind – wahrscheinlich durch die ständigen Umzüge und immer neues Im- und Exportieren – einige Assets bei den älteren Sims in die Brüche gegangen. Ein paar Boxen gibt es meines Wissens nur im Stocked Shopping Center in intaktem Zustand, andere nicht einmal mehr da. Unterm Strich haben Lindas alte Sims aber nicht nur einen historischen, sondern manchmal selbst heute noch einen Nutzwert, so daß sie es durchaus verdient haben, erhalten zu bleiben und vielleicht auch eine technische Modernisierung zu erfahren.

#OpenSim #OpenSimFrühzeit #FürFortgeschrittene #Personen #Drama