Gedanken zu Gnome, Teil eins
Der Gnome-Desktop bleibt kontrovers: Einerseits ist das Projekt eines der fortschrittlichsten in der gesamten Gemeinschaft freier Software, egal, was Designkonzepte von heute und morgen oder auch die unterliegenden Technologien angeht: Gnome scheint in die Zukunft zu schauen und visionär antworten zu wollen.
Anstatt wie KDE oder Xfce die klassische Metapher einer grafischen Oberfläche für Desktop- und Laptopsysteme zu bedienen, geht Gnome einen eigenen Weg, der sich mal mehr, mal weniger an den bekannten Ansätzen von IBM, Microsoft, Apple oder Unix zu orientieren scheint. Gnome ist dabei eindeutig wiederzuerkennen, hebt sich von der Masse ab, ist kein Duplikat. Doch was zunächst als Vorteil erscheinen mag, kann Gnome auch schnell auf die Füße fallen, spätestens seit der intitialen Veröffentlichung der dritten Generation des Zwergendesktops.
Die Beständigkeit, die sich anhand der zweiten Generation der Oberfläche nachvollziehen lässt, ist aus heutiger wie damaliger Sicht kaum noch bemerkbar, wenn man sich die Ideen von Gnome 3 vor Augen führt. Gleich geblieben ist bis heute aber das Mantra des „weniger ist mehr“, dass Gnome heute wie kein anderer Desktop verinnerlicht hat.
Dabei ist Gnome nicht sonderlich leichtgewichtig, auch nicht unausgereift oder funktionslos; nein, die Optionen, die der Desktop bietet, werden bloß sehr selektiv angezeigt: Beispielsweise kann ein einfarbiger Hintergrund in Gnome v3.38 lediglich über die gsettings-Datenbank gesetzt werden, nicht über eine offizielle grafische Oberfläche. Erweiterungen, die Gnome de facto zu einem der anpassungsfähigsten Desktops machen, sind in den meisten Fällen inoffizielle, wenn auch sehr beliebte Lösungen, die allerdings schon nach einem einzigen Update der Vergangenheit angehören können:
Gnome hat seine eigene Meinung, wie der GNU/Linux-Desktop zu betrachten und zu benutzen ist; dabei macht man sich nicht immer Freunde, große Neuerungen werden zumindest bei einigen nicht mit der Euphorie wahrgenommen, die man ihnen womöglich doch zugestehen sollte: Gnome ist kontrovers.
Meine persönliche Beziehung zur Zwergenoberfläche ist dabei ebenso ambivalent: Einerseits kommt mir Gnome sehr vollständig vor, andererseits fehlen an manchen Ecken und Enden die Dinge, die ich dort erwartet hätte. Sicherlich bietet Gnome eine vollständig Umgebung verschiedenster Anwendungen, und doch ist diese nicht so vollständig wie z.B. bei KDE.
Xfce ist und bleibt eine der beständigsten Umsetzungen der Desktop-Idee, Gnome bleibt ein interessanter Ansatz. Mich zu begeistern schaffen beide Projekte immer wieder, mich festzulegen fällt mir aber auch sehr schwer. Und dann ist da natürlich noch der Mate-Desktop, der als Fortsetzung des mittlerweile Abgelösten Gnome v2 eine ebenfalls konsistente und entgegen vieler Meinungen durchaus daseinsberechtigte Oberfläche für den Laptop und Desktop bietet.
Sich festzulegen fällt mir immer wieder schwer, wenn es um die verschiedenen Oberflächen geht, auch da sich alle stets zu verbessern scheinen. GNU/Linux lebt zu einem nicht zu unterschätzenden Teil von seiner Community, also auch von dem Herzblut, das in die einzelnen Projekte fließt, von der Zeit, die die Entwickler und Beitragenden den Projekten nicht selten ehrenamtlich spenden.
Nur wegen eigenwilligen Bedienkonzepten in eine Welle der Shitstorms zu verfallen, halte ich für schwierig, wenn auch nachvollziehbar. Jede Idee hat ihren Preis, jede Implementierung ihre Schwächen. Jeder Desktop seine Fehlerchen und Macken.
Ich habe mir heute wiedereinmal Debian 11 mit Gnome v3.38 installiert und bin doch angetan von den Konzepten, die die Oberfläche umsetzt. Sicherlich ist Gnome nicht zu ein- aber damit auch nicht zu verstellbar wie KDE, sicher ist Gnome auf den ersten Blick nicht so leichtgewichtig wie Xfce, und doch bieten sich auf dem grafischen Kobold einige Vorteile: Die Umsetzung von virtuellen Arbeitsfläche ist bei Gnome beispielsweise noch immer besser als bei den meisten anderen Oberflächen; mit besser meine ich dabei subjektiv besser: Die Arbeitsflächen von Gnome sind standardmäßig dynamisch, das heißt nur dann vorhanden, wenn sie auch wirklich gebraucht werden. Dabei vermittelt aber gerade das Konzept der Aktivitäten den Eindruck, man solle diese doch einfach einmal stärker in den eigenen Benutzungsfluss einbauen: Und ja, das funktioniert sehr angenehm.
Besonders interessant sind auch die Tastenkürzel, die Gnome von Beginn an ausrollt: So werden etwa die im Dash verankerten Favoriten mit einer Nummer versehen. Daraufhin können sie mit der Tastenkombination Super+[Nummer] ausgeführt werden: Wenn also der erste Starter ein Terminal ist, kann dieses einfach mit Super und ‚1‘ gestartet werden. Darauf muss man ersteinmal kommen, immerhin sind diese Starter dabei dynamisch besetzbar, wechseln also ihre Belegung, wenn ich die favorisierten Anwendungen umsortiere – sehr interessant, sehr praktisch.
An dieser Stelle möchte ich auch noch ein paar Worte zu dem Wechsel verlieren, den Gnome seit der in Debian 11 enthaltenen Version 3.38 vollzogen hat: Ab Gnome 40 ist man im Projekt von der Gnome-v3-typischen vertikalen Anordnung der Arbeitsflächen zu einer klassischeren horizontalen Auslegung gewechselt.
Diese Änderung sehe ich persönlich als Fluch und Segen zugleich; einerseits ist das horizontale Verhalten im Wesentlichen doch intuitiver, andererseits erhöht man so auch die Mauswege dramatisch, soll das Dash dann doch noch einmal erreicht werden.
Auf einem realen Schreibtisch legt man Dokumente, an denen man gerade nicht arbeitet natürlich auch eher zur Seite als nach hinten, andererseits ist auch die Frage, ob diese Analogie auf einem digitalen Schreibtisch sonderlich sinnvoll ist.
Möchte ich in Gnome v43 das Dash ohne Zuhilfenahme der Super-Taste erreichen, muss ich bekannter Weise zunächst den Mauszeiger in die obere linke Ecke schleudern, kann ihn dann aber nicht einfach an der linken Bildschirmkante entlangwandern lassen, sondern muss zuerst den halben Bildschirm abfahren, um an die untere Bildschirmkante zu gelangen.
Fairerweise muss man dazusagen, dass sich die Beschleunigung der Maus dabei sehr zu Nutze machen lässt, was die Mauswege an sich dann doch verringert. Auch die verbesserte Unterstützung für Touchpads hilft auf einem Laptop schon sehr. Außerdem nutze ich die hauseigenen Erweiterungen „Anwendungs-“ und „Orte-Menü“, die die obere Leiste logisch und sinnvoll erweitern. Glücklicherweise sollten diese bei Versionsaktualisierungen auch nicht kaputt gehen, immerhin kommen sie direkt von Gnome selbst.
Wie dem auch sei: Gnome ist und bleibt spannend, ob ich den Desktop langfristig einsetzen möchte, weiß ich noch nicht, allerdings ist er immer wieder einen Blick wert, und das entgegen der landläufigen Meinungen.
Gnome läuft unter Debian sehr flüssig, Anwendungen starten wesentlich schneller als unter KDE, teilweise auch flotter als unter Xfce; das Bedienkonzept ist sicherlich gewöhnungsbedürftig, aber wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, macht es dann doch viel Spaß. Was die zukünftigen Entwicklungen angeht, die das Gnome-Projekt in absehbarer Zeit einschlagen wird, bin ich noch unentschlossen, nichtsdestotrotz aber offen für Neuerungen. Was ich genau von libadwaita, GTK4 und den vielen anderen, manchmal dann doch visionären Ansätzen des Projekts halten soll, wird die Zukunft schon zeigen. :D
Dieser Text von Fabian Schaar ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.