Das aktuelle OSgrid-„Drama“
Seit einer Woche ist jetzt das OSgrid down. Das heißt, nicht das ganze Grid, nur der Asset-Server, aber das Grid ist jetzt eben unbenutzbar. Das soll noch bis Mitte der Woche anhalten.
Der Grund dafür sind dringend nötige Wartungsarbeiten am Asset-Server. Im Zuge derer soll er auch schneller werden. Dabei müssen aber unzählige große und vor allem kleine Dateien umziehen. Und das dauert. Zum einen dauert das, weil das OSgrid mit Abstand das größte Grid ist und schon von daher gigantische Mengen an Assets hat. Zum anderen dauert das, weil das OSgrid auch das älteste Grid ist und daher auch sehr viele ältere Assets hat, die kaum jemand auf andere, neuere Grids mitnimmt – auch deshalb nicht, weil diese älteren Sachen eben nicht auf den coolen, angesagten Freebie-Sims angeboten werden, die zu 99% mit Gecopybottetem voll sind.
Wie lange der Umzug genau dauern wird, weiß auch die OSgrid-Administration nicht. Vermutlich ist ihnen angezeigt worden, als sie mit Dateiverschieben angefangen haben, daß das etwa zwei Tage in Anspruch nehmen wird. An dieser Stelle haben sie den Fehler gemacht und die Downtime als 48 Stunden lang angekündigt. Darauf wurden sie dann von allen Nutzern festgenagelt.
Allerdings ging das Verschieben wohl anfangs schneller; ich schätze, da wurden erst relativ große Dateien verschoben. Als dann aber der ganze Kleinkram an der Reihe war, ging die Zeitprognose nach oben. Und zwar immer noch einmal und immer noch einmal. Die Admins haben daher die Downtime zweimal um weitere 48 Stunden verlängert. Jetzt heißt es, schätzungsweise Mitte dieser Woche ist das Grid wieder da.
Problemkind Asset-Server
Der Asset-Server des OSgrid ist ja sowieso ein Problemkind. Anfang des Jahres bekam das OSgrid eine technische Generalüberholung. Da war es schon einmal mehrere Tage down. Damit wollte man aber das Problem lösen, daß das OSgrid mit schöner Regelmäßigkeit ausgerechnet an Wochenenden gecrasht ist, wenn Events anstanden.
Diese Generalüberholung betraf auch den Asset-Server. Das war eine wirklich notwendige Aktion, aber die hatte unausweichlicherweise zur Folge, daß vorübergehend in den Inventaren der Avatare Assets nicht gefunden werden. Die müssen erst in der Datenstruktur des Servers an ihrem angestammten Platz landen. „Vorübergehend“ meinte damals schon locker bis in den Sommer. Wie gesagt, irre viele Assets. Dieser Prozeß hält immer noch an.
Der aktuelle Umbau soll den Asset-Server noch einmal schneller machen. Jetzt wird geschätzt, daß binnen eines Monats alles wieder da sein sollte, wo es hingehört.
Die Nutzer sind genervt
Allerdings haben die OSgrid-Nutzer inzwischen die Schnauze voll von den „ständigen“ Downtimes und der „Unzuverlässigkeit“ des OSgrid. Erst ist letztes Jahr das OSgrid ständig an Wochenenden abgeschmiert und war erst am Montag wieder da, so daß da ständig Events ausfielen. Dann war das OSgrid Anfang 2022 mehrere Tage am Stück down.
Als es dann wieder da war, fehlten auf einmal etliche Assets im eigenen Inventar. „Ja,“ hieß es dann, „die kommen zurück, aber das kann noch ein paar Monate dauern.“ Wie gesagt, bis in den Sommer sollte man große Teile des eigenen Inventars nicht nutzen können.
Montag ging das OSgrid wieder down, nachdem es monatelang endlich stabil gelaufen war. 48 Stunden Downtime waren angekündigt. Das war einigen schon wieder zuviel. Dann aber kamen noch einmal 48 Stunden dazu, dann noch einmal 48 Stunden, und dann noch ein paar Tage mehr.
Im nachhinein war es vielleicht taktisch unklug, eine feste und noch dazu so knappe Zeitprognose abzugeben. Aber zum einen wußten die Admins es da noch nicht besser, und zum anderen – irgendwas mußten sie den Nutzern ja sagen, wann das OSgrid wieder komplett online ist.
Gar nichts zu sagen, hätte vielleicht böse Erinnerungen der wenigen verbliebenen älteren OSgrid-Nutzer wiedererweckt: 2014 flog dem OSgrid ein RAID-Array um die Ohren. Das ganze Grid mußte offline genommen werden. Es konnte nur gerettet werden, indem die Festplatten einer professionellen Datenrettungsfirma gegeben wurden. Und bis die alles an Grid-Daten wiederhergestellt hatte, das dauerte sage und schreibe acht Monate. So lange war das OSgrid down.
Ich glaube aber, gerade die älteren sind aktuell eher entspannt. Die Lage klingt nicht so aussichtslos wie damals. Es sind eher die jüngeren, die von OpenSim 100% Verfügbarkeit erwarten. Wohlgemerkt, OpenSim an sich ist immer noch Beta-Software. Das OSgrid selbst ist „Versuchskaninchen“ für neue Entwicklungen und entwickelt selbst einiges, es ist also selbst obendrein noch experimentell. Noch dazu steckt hinter OpenSim kein großer Konzern, sondern viele kleine Haufen von Freiwilligen. Erwartet wird aber etwas, was selbst eine US-amerikanische IT-Gigacorporation wie Microsoft, Apple, Alphabet (Google) oder Meta (Facebook) nicht leisten könnte. (Amazon habe ich gar nicht erst erwähnt; die können das nicht leisten.)
Redundanz als Lösung: Alts!
Andererseits krallen sich viele OSgrid-Nutzer auch knallhart am Grid fest. Ich erwarte jetzt keinen riesigen Exodus, aber es ist bemerkenswert, daß viele sich weigern, auch auf anderen Grids Avatare zu haben, also Alts.
Ich meine, ich kann verstehen, warum das OSgrid so groß ist und solche Nutzermengen hat. Das ist dasselbe Phänomen wie so oft in technischen Bereichen, wenn man die Wahl hat, aber eigentlich nicht so wirklich Ahnung, um eine Auswahl zu treffen: Man nimmt das, was „alle“ nehmen. Da muß man nicht groß nachdenken.
Deswegen ist Google Mail so groß: Das haben „alle“. (Okay, wenn man als Technikferner sich ein Android-Smartphone zulegt und es sich von einem Techniker alles voreinrichten läßt, dann kriegt man natürlich ein Google-Konto und ein Google-Mail-Konto gleich mit dazu. Aber bevor das richtig losging, war Gmail auch schon so groß. Und davor war es Microsoft Hotmail oder Yahoo!, wo „alle“ waren.)
Deswegen war lange Zeit das iPhone das einzige Smartphone, das wirklich eine Rolle spielte: Alle haben sich ein iPhone gekauft, weil „alle“ eins hatten. Das war so extrem, daß heutzutage kaum mehr jemand weiß, daß das iPhone weder das erste Smartphone noch das erste Smartphone mit Touchscreen war. (Übrigens: Das Smartphone, das „alle“ hatten, bevor es das iPhone gab, war das Nokia N95.) Inzwischen hat das Samsung Galaxy S dem iPhone den Rang abgelaufen.
Deswegen sind bei anderen dezentralen Diensten (XMPP, Matrix, Diaspora* etc.) fast immer die „offiziellen“ Instanzen die mit gigantischem Abstand größten. (Kurioserweise ist Mastodon eine Ausnahme: Die größte Instanz ist eine spezialisierte Furry-Instanz, die obendrein von vielen anderen Instanzen blockiert ist.)
Und aus demselben Grunde ist seit Jahrzehnten in Deutschland der VW Golf das populärste Auto – und in den USA der Ford F-150.
In OpenSim ist das OSgrid so gigantisch groß, daß viele OSgrid-Nutzer scheinbar schon das OSgrid mit OpenSim gleichsetzen. Andere Grids scheinen für sie kaum bis gar nicht mehr zu existieren – außer es gibt mal wieder öffentliches Drama um ein anderes Grid. Wann immer das OSgrid down ist, jammern sie, als wäre OpenSim als Ganzes down.
Dabei läge zumindest eine Teillösung auf der Hand: Man müßte einfach nur in mindestens einem anderen Grid einen Alt mit idealerweise derselben Identität haben. Dann könnte man zumindest mit dem online gehen, Freunde treffen usw. Aber einige verweigern sich dem und jammern lieber, daß sie überhaupt nicht online kommen.
Was könnten die Gründe dafür sein?
- Alts sind etwas Schlimmes, wie wenn man schummeln würde.
- Man will seiner geliebten Heimat OSgrid nicht untreu werden.
- Man ist ein Second-Life-Umsteiger und hat noch nicht verstanden, daß man in OpenSim mehrere Avatare mit derselben Identität und demselben Namen hat – theoretisch einen pro Grid.
- Man ist ein Second-Life-Umsteiger und hat immer noch im Unterbewußtsein, daß es sauteuer ist, Alts auszustatten.
- Man ist ein Second-Life-Umsteiger und hat immer noch im Unterbewußtsein, daß die Anzahl an Alts, die man sich maximal anlegen kann, stark begrenzt ist.
- Man hat sich tatsächlich fürs OSgrid entschieden, weil man der Einfachheit halber gewählt hat, was „alle“ haben; jetzt müßte man sich von sich aus für ein anderes Grid entscheiden. Und da gibt’s sonst keins, wo „alle“ hingehen.
- Der Aufwand, einen zweiten Avatar auszustatten (Kleidung, Freunde, Gruppen, womöglich braucht der ein eigenes Zuhause usw.), ist zu groß.
Gut, es gibt auch das andere Extrem, nämlich Leute, die das OSgrid jetzt als „sinkendes Schiff“ ansehen und in einem anderen Grid ganz neu anfangen – weil sie ja ans Inventar ihres OSgrid-Avatars aktuell nicht rankommen. Da wird sich zeigen, wie lange sie dem OSgrid fernbleiben.
Generell aber zeigt die Downtime des OSgrid, wie sinnvoll es sein kann, einen Alt, der im wesentlichen dem eigenen Hauptavatar entspricht, in einem anderen Grid zu haben.
Zu guter Letzt: Noch einmal acht Monate wird das OSgrid wegen dieser Geschichte nicht down sein.